Korea Report



4. Tag


Seoraksan, heilig.





Seoul ist wunderschön. Seoul ist lebendig und weltoffen. Aber Seoul ist nicht alles, was Korea zu bieten hat. Bei weitem nicht alles.

Wir fühlten uns auf koreanischem Boden mittlerweile sicher genug, um uns aus unserem kosmopolitischen Nest herauszuwagen. Mussten wir auch - die nächste Unterkunft war bereits gebucht. Im Seoraksan Nationalpark - im Nordosten Südkoreas, am Fuß der gold-roten Berge.

Da wir dabei waren, Seoul für mehrere Tage zu verlassen, nutze ich an dieser Stelle die Gelegenheit, eine Lobeshymne an die Seouler U-Bahn zu singen.

Die Subway ist so organisiert, dass auch ein sprachunkundiger Ausländer damit zurecht kommen kann. Die 8 Linien sind farblich gekennzeichnet und mit Nummern versehen. Die Linien 1-4 gehören zu Korail / Seoul Metro, die Linien 5-8 - zur Seoul Metropolitan Rapid Transit Corporation.

Fahrkarten gelten im gesamten Netz und sind recht preiswert. Eine Fahrt mit max. 10 km Distanz kostet 1000 Won (0,70 EUR) in Bargeld oder 900 Won mit der T-Money-Karte (Stand Herbst 2008). Die Züge verkehren etwa alle 3 Minuten und sind modern, geräumig, sauber und mit einer guten Klimaanlage ausgerüstet.

Die Stationen sind in Koreanisch, Englisch, Chinesisch und Japanisch benannt und systematisch durchnummeriert - zum Beispiel 339 bedeutet Station Nummer 39 der Linie 3. Praktisch bedeutet das - wir haben den Express Bus Terminal erreicht.

Als Individualtourist gehört man ja zu sich ganz allein. Das hat bekanntlich positive und weniger positive Aspekte. Schön ist, dass man dynamisch und flexibel planen kann, wobei nur die eigenen Interessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits ist man beim Verfolgen eigener Ziele auf sich selbst gestellt. Oder die Hilfe Einheimischer.

Wo gibt's in diesem Labyrinth den Bus nach Sokcho?

Das wußte die Dame in Business-Anzug, die uns zur Hilfe eilte, auch nicht wirklich. Also erkundigte sie sich kurzerhand bei den anderen Passanten, und begleitete uns danach zur richtigen Fahrkartenverkaufsstelle. Gamsa hamnida!

Die Fahrt von Seoul nach Sokcho kostete 22.000 Won (ca. 15,50 EUR) pro Person. Die nächste Abfahrt - in 5 Minuten. Ein beherzter Sprint durch das Terminal, und wir saßen im Bus.

Wow! Solche Sitze erlebt man beim Fliegen nur im Business Class. Insbesondere angenehm, da die Fahrt etwas mehr als 5 Stunden dauert.

Der Fahrer ist in adrette Uniform gekleidet, der Bus - klimatisiert und mit TV ausgestattet. Die Abfahrt - pünktlich. Guter Anfang, mal schauen, was der Tag bringen wird.

Wir rollten erst durch den dichten Seouler Verkehr, dann die ausgezeichnet ausgebauten Autobahnen entlang. Auf dem Bildschirm lief ein herzzerreißendes Melodram, gemischt mit Werbung für Hightech-Reiskocher. Das Kind in der Reihe vor uns kränkelte etwas und tat seine Unzufriedenheit mit dem Leben unmissverständlich kund.

Aus dem Fenster sah man eine bergige Landschaft, durchbrochen mit Feldern und Industrieanlagen. Etliche Betriebe trugen die Überschrift "Certified ISO 9001".

Überall auf Berghängen und Wegrändern standen Bäume, mit orangenen Früchten geschmückt.


Mandarinen, wie in Südeuropa? Nein - Persimonen.

Die Früchte waren fast reif - Erntezeit ist Oktober und November. Dann erscheinen sie auch in deutschen Supermärkten, wo sie üblicherweise "Kaki" genannt werden.

Nach einem kurzen Zwischenstopp auf einer Autobahnraststätte erreichte unser Bus Yangyang. Das ist übrigens die einzige koreanische Provinzstadt, deren Namen ich mir damals, im Januar 2008, auf Anhieb merken konnte.

Das Gebiet um Yangyang herum produziert Matsutake-Pilze (pine mushrooms), die insbesondere in Japan hoch geschätzt sind. Im Oktober findet die Ernte statt, und gleichzeitig wird das Yangyang Pine Mushroom Festival gefeiert. Dabei kann man unter fachkundiger Anleitung Pilze sammeln, einen Halbmarathon durch die Wälder der Provinz mitlaufen, oder sich die traditionellen Volksspiele anschauen.

Pilzjagd ist was Spannendes, war aber für die Zeit unserer Autoreise vorgesehen. Wir fuhren weiter, nach Sokcho.

Sokcho ist eine relativ große Küstenstadt an der Ostsee. Gemeint ist natürlich "East Sea", dem Rest der Welt besser als "Sea of Japan" bekannt.

Tja, es ist keine exklusive Idee, ein Meer "Ostsee" zu nennen. Wobei Ostsee in Europa dem Rest der Welt besser als "Baltic Sea" bekannt ist. Dieser Name stammt wiederum von lettischen / litauischen Wort "balt" ab, das "weiß" bedeutet. Und auch diese Idee ist nicht exklusiv - es existiert eine andere "Weißsee", "White Sea", im Norden Europas...

Aber zurück zum Reisebericht. Sokcho selbst würde ich nicht als hübsch beschreiben - graue Plattenbauten verschönern nicht unbedingt sein Gesicht. Die Stadt dient aber als Tor zum berühmtesten Naturwunder Südkoreas - dem Seorak Gebirge.

Insbesondere im Herbst, wenn Seoraksan (san bedeutet Berg) und sein Hofstaat sich in rot-goldene Roben hüllen, ist es ein überwältigender Anblick. Dessen Schönheit wird nur vom Diamantgebirge übertroffen.

Eigentlich sind die beiden ein zusammenhängendes Bergmassiv. Erinnern Sie sich an die Legende über Hwanung, den Himmelssohn, und die Bärin Ungnyeo, die sich in eine Frau verwandelte? Die Gründung der koreanischen Nation fand in diesen Bergen statt.

Derzeit ist das Massiv durch die DMZ entzwei geteilt. Das Diamantgebirge liegt in Nordkorea, und ist somit von der breiten Öffentlichkeit abgeschnitten. Also, solange die Wiedervereinigung noch nicht stattgefunden hat, bleibt Seoraksan der König der Berge auf der Südhälfte Koreas.

Und hält dem Ansturm der Touristen stand. An diesem Sonntagnachmittag waren wir beide nur zwei kleine Tröpfchen im Fluß.

Gepflegterweise kommt ein Tourist zum Eingang des Nationalparks mit dem eigenen Auto, einem Reisebus, oder per Taxi. Abenteuerlicherweise - mit dem Stadtbus Nr.7 von Sokcho aus, 2.000 Won pro Person. Wir wählten Abenteuer.

Wir erhielten das Gewünschte - bei der Suche nach der gebuchten Unterkunft. Sorak Park Hotel befindet sich nämlich nicht ganz neben dem Parkeingang, wo wir zuerst hinfuhren. Zwischen den beiden liegen ca. 2 km Fußmarsch. Oder Taxifahrt, wenn man mit Koffern beladen ist. Dafür ist es ein Fünf-Sterne-Hotel mit geräumigen Zimmern und zuvorkommendem Personal.

Da es ein später Herbstnachmittag war, blieb uns nicht mehr so viel Zeit bis zu Dunkelheit. Die einzige zur Wahl stehende Sehenswürdigkeit war somit die Tempelanlage Sinheungsa.

Sinheungsa ist einer der Hauptsitze des zen-buddhistischen Jogye Ordens und gilt als der älteste Zen-Tempel der Welt. Sein Name bedeutet "Göttlich inspirierter Tempel". Er wurde im 7 Jahrhundert unserer Ära errichtet und überstand seitdem mehrfach Brände und Standortwechsel.

Jetzt befindet sich Sinheungsa in der Nähe des Eingangs zum Seorak Nationalpark und beherbergt den Buddha der Wiedervereinigung.


Täglich beten hier die Gläubigen darum, dass Korea wieder ganz wird.

Wenn man einige Hundert Meter weiter geht und einen kleinen Bach überquert, erreicht man das Tor zu Sinheungsa selbst. Dieses wird von vier Himmelskönigen bewacht, die das Heilige vor Bösem und Unreinem beschützen.


Der König mit der Laute ist der Herrscher des Ostens. Der König mit dem Schwert - des Südens.


Dem König mit dem Drachen und der Perle ist der Westen untertan. Dem König mit der weißen Pagode - der Norden.

Hinter dem Tor rechts, im unteren Bereich des Innenhofs, befindet sich ein Brunnen mit frischem Quellwasser.


Wir tranken davon und füllten unsere Wasservorräte nach.

Den Quellen des Seorak Gebirge werden heilende Kräfte nachgesagt. Darüber kann ich selbst zwar nichts berichten, aber schmecken tut das Wasser vorzüglich.

Das Hauptgebäude von Sinheungsa ist im oberen Bereich des Hofs errichtet.

Buddhistischen Tempel in Korea sind übrigens keine Touristenattraktionen, sondern funktionierende heilige Stätten. Und sie tragen ihre Kosten selbst. Wer spenden möchte, kauft einen Dachziegel und versieht ihn mit eigenem Namen. So schafft der Spender gute Karma für sich selbst und die nötigen finanziellen Mittel für den Tempel.


In den Saal reinzulatschen, um Fotos zu knipsen, wäre akut respektlos gewesen. Zum Glück ist in Sinheungsa das Fotografieren von außen in die Innenräume hinein erlaubt.

Vor dem Fenster der Haupthalle standen bereits zwei Fotografen. Instinktives Checken ergab - erwachsene männliche Nikonisten.

Im Inneren des Gebäudes dienten nur Kerzen und das schwindende Sonnenlicht als Beleuchtung. Die Kollegen hatten Stative dabei und somit das Leben leichter. Ich dagegen musste das ISO bis zum Anschlag aufdrehen und mich niederknien, um ein scharfes Bild zu bekommen.

Plötzlich bot mir die Frau, die im Tempel diente, an, hereinzutreten.

Ich kenne mich mit Buddhismus kaum aus. Mir wurde die große Ehre zuteil, im Heiligtum fotografieren zu dürfen - also veröffentliche ich hier die Aufnahme.


Schauen Sie sich das Bild in Ruhe an, lassen Sie das auf sich einwirken. Mehr zu sagen steht mir nicht zu - für das Wählen des eigenen Weges ist jeder selbst verantwortlich.

Wie in vielen buddhistischen Tempeln Koreas üblich, befindet sich gegenüber der Haupthalle ein zweistockiger Pavillon. Durch dessen untere Etage steigt man zum oberen Innenhof auf. Außergewöhnlich in Sinheungsa ist, dass bei diesem Gebäude sich Gitter zwischen den Säulen befinden. Normalerweise gibt's bei solchen Pavillons weder Wände noch Türen.


Nach 18 Uhr war es relativ dunkel und fast menschenleer, und die Dienerin bereitete die Tempelanlage auf die Nacht vor. Es war für uns an der Zeit, zurück zu gehen, und nach Nahrung zu suchen.

Über den Bach neben Sinheungsa sind zwei Brücken errichtet - die Eine aus Holz, die Andere aus Stein, die parallel zueinander stehen.


An diesem Löwen konnte ich nicht vorbei, ohne ihm den Brustpelz zu kraulen.

Nach 18:30 trotteten wir in kompletter Dunkelheit die Straße zum Hotel entlang, angespornt von mächtigem Hunger. Eine Garküche mit geschmorten Seidenraupen umgingen wir trotzdem, in einer breit ausgelegten Kurve.

Unten am Hotel wurden wir von einer Restaurantbesitzerin gerettet. Sie bemerkte zwei müde Touristen mit hungrig glühenden Augen und winkte uns herein.

Eine Spezialität der Gegend um Sokcho sind Gerichte aus Trockenfisch. Auch dieses Restaurant bot mehrere davon.

Das Hauptkriterium bei der Wahl war für uns - Abbildung der Speise dürfte keinerlei rote Farbe enthalten! Wir brauchten eine Pause von Chilihaltigem. Die Suppe mit Trockenfisch und Tofu erfüllte diese Anforderung perfekt.


Im rechten oberen Schälchen befinden sich Trockenfischflocken, vermengt mit Zucker. Eine eher ungewöhnliche Mischung, oder? Schmeckt aber ganz gut und ist, sehr wichtig, nicht scharf.

Beachten Sie bitte auch die zwei grauen Streifen im Bild links. Das sind Essstäbchen nach koreanischer Art. Sie werden aus Metall gefertigt und sind im Querschnitt flach. Die Gewöhnung an diese Besteckvariante nahm bei mir einige Zeit, Schweiß- und Temperamentausbrüche in Anspruch. Aber mittlerweile finde ich solche Essstäbchen bequemer, als ihre holzernen Pendants mit rundem oder quadratischem Profil.

Insgesamt machte das Restaurant einen entspannten, familiären Eindruck. Mehrere Frauengenerationen waren darin beschäftigt. Die Restaurantbesitzerin deckte den Tisch für das bevorstehende Abendessen. Ihre kleine Tochter schaute im Fernsehen eine Sendung für Frischverliebte. Die Omi erzielte beachtliche Trefferquote mit einer Fliegenklappe in fröhlichen Farben. Alle drei lächelten uns freundlich zu.

Wir haben unseren ersten Tag außerhalb Seouls erfolgreich überstanden.

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