Korea Report



6. Tag


Seorak, höher.





An diesem Tag wurde es ernst. Keine Ausreden mehr. Keine Tricks. Warm-up war gestern.

Heute - die Route zu Ulsanbawi.

Als wir im Frühstücksaal erschienen, wurde eine fröhliche koreanische Pop-Melodie durch Tschaikowskijs "Schwanensee" ersetzt. Musste es tatsächlich so ernst sein? Oder hat das Hotelpersonal versucht, europäischen Musikgeschmack zu treffen? OK, das war immerhin besser, als "Sterbender Swan" Saint-Saëns...

Dermaßen beflügelt, schlossen wir uns dem Touristenschwarm an, der Richtung Ulsanbawi zog.

Diese Strecke gilt als die längste und schwierigste von den vier, die auf der Karte des Nationalparks dargestellt sind. Lediglich 700 m gelten als grün - "easy". Weitere 1,5 km, "gelb", führen zum Fels Heundeulbawi. Nach der Erfahrung vom Vortag hatten wir den Verdacht, dass wir uns mit diesem Zwischenziel zufrieden geben würden.

Warum? Weil die letzten 1,5 km der Strecke, die auf die Felsformation Ulsanbawi klettern, als "rot" - "hard" gekennzeichnet sind. Und koreanisches "hard" ist wie koreanisches "hot spicy" - für einen europäischen Normaltourist ist es eine ernstzunehmende Warnung. Oder eine Schweiß- und Tränen-Garantie.

Die Route fängt am Hinterhof des Sinheungsa Tempels an.


Wir sind bereit - Flaschen mit dem Wasser der Tempelquelle gefüllt, Rucksäcke festgezurrt. Das Zwischenziel ist das Ziel.

Auch an diesem Tag folgte der Weg den Kurven eines kleinen Bachs. Es roch nach frischem Wasser und sonnenerwärmtem Wald.


Um uns herum spazierten Naturliebhaber in bunter Sportkleidung. Damen schützten sich durch große Schirmkappen aus Plastik vor Sonnenbrand. Manche Spatzierende hatten Trekkingstöcke im Einsatz. Andere trugen Mobiltelefone in der Hand und teilten ihre Musiksammlung mit ihren Nächsten.

Stellen Sie sich vor: "Ta-da-da-dam-m!" Aha, ein Beethoven-Liebhaber im Anmarsch...

Die "grüne" Teilstrecke ist perfekt ausgebaut, breit und flach.


Der Weg führte unter anderem an alten Graburnen vorbei. Die Gegend um diese Urnen ist mit Steinpyramiden übersät -man baut sie als Bitte um Glück auf, entsprechend einem alten Brauch.

Schon am Anfang der "gelben" Teilstrecke legte Mutter Natur einem die ersten Steine in den Weg. Und je weiter, desto mehr. Bald schritt man bergauf von einem basketballgroßen Brocken auf den anderen. Außerdem wurde es immer heißer im Wald, und der Fotorucksack fühlte sich wie meine liebe Not an. Wir fingen an, Pausen zu machen.

Während einer dieser Pausen lernten wir Monica und Dong kennen, ein koreanisches Paar aus Chicago. Wir mit Monica äußerten übereinstimmend Zweifel, dass man unbedingt zum Gipfel musste. Dong pflichtete bei, dass der Ausblick wahrscheinlich nicht der Mühe wert wäre - die Wälder sind ja noch grün.

Im weiteren Verlauf übernahmen mal sie, mal wir die Führung auf dem Pfad. In Pausen trafen wir immer wieder aufeinander und quatschten über Vorurteile, Sprachunterschiede und überraschende Schicksalswendungen.

Wie das immer so ist, kaum hat man sich die Ziele heruntergeschraubt, pakt einen der Ehrgeiz. Bald schaukelten wir uns mit Monica und Dong zu einem regelrechten Wettbewerb auf, im sportlichen Stock- und Steinlauf. Über unser angestrebtes Zwischenziel, den Felsen Heundeulbawi und die daneben stehende buddhistische Eremitage, schossen wir hinaus, ohne zu stoppen. Dass Heundeulbawi ein Wackelstein ist, habe ich erst beim Schreiben des Korea Reports herausgefunden.

Den Unterschied zwischen einer "gelben" Strecke und einer "roten" bekamen wir sofort zu spüren. Wodurch? Man stelle sich einen Dinosaurier vor, am besten einen Stegosaurier mit einem Rückenkamm. Ein gelb gekennzeichneter Pfad führt über seinen Rücken. Ein rot gekennzeichneter - den Kamm hoch.

Die Höhe des Ulsanbawi beträgt 873 Meter. Die Länge der roten Teilstrecke vom Fuss zum Gipfel entspricht ca. 1,5 km. Das ergibt eine durchschnittliche Neigung von 35 Grad. Hinzu kommt die Größe der zu überwindenden Steine - sie ist auf dem erstem Bild auf dieser Seite gut sichtbar.

Um einen von diesen Felsen bogen plötzlich zwei alte Bekannte - die Schweizer, die wir beim DMZ-Tour kennengelernt haben. Sie waren bereits oben und schwärmten von einer atemberaubenden Panorama. Ich fand, der Weg dorthin war schon atemberaubend genug.

Da, wo Granit vertikal in den Himmel stieg, waren die uns bekannten orangenen Leiter angebracht.


Man kann diese Leiter nicht in einem Sprung bewältigen, nur Schritt für Schritt. Schritt für Schritt, einer nach dem anderen. Der Kopf wird frei, man konzentriert sich nur auf das Wesentliche - auf das Hier, das Jetzt und den eigenen Körper. Zwei Füße. Achthundert Stufen. Schritt für Schritt.

Plus die ganze Fotoausrüstung auf dem Rücken, aber die muss nun mal sein.

Insgesamt ist dieser Teil der Route nicht zu unterschätzen - wir haben mehrere Menschen getroffen, die an einem Schwächeanfall oder einer akuten Höhenangst litten.

Oben auf dem Gipfel fanden wir zwei Aussichtsplattformen, eine mobile Garküche und eine Menge hundemüder Touristen vor. Und eine überwältigende Panorama über das Seorak Gebirge und den vernebelten Pazifischen Ozean.

Erst jetzt konnte ich die Legende über die Entstehung Ulsanbawis nachvollziehen. Sie sagt nämlich, dass die schönsten Berge der Welt eingeladen wurden, um Diamantgebirge zu bilden. Auch die Stadt Ulsan schickte ihren Gesandten auf den Weg - Ulsanbawi. So groß und schwerfällig, verspätete sich Ulsanbawi und fand in der Formation keinen Platz mehr für sich. Auf dem Rückweg war er von dem Ausblick über die Pazifik so angetan, dass er beschloss, für immer an diesem Ort zu bleiben.


Hier ist er, ein zwei Kilometer langer Granitkamm, einer der größten im asiatischen Raum. An dem Tag noch im grünen Sommerpelz.

Übrigens, den Wettbewerb mit Monica und Dong haben wir sehr knapp gewonnen - sie erschienen sofort hinter uns auf der Aussichtsplattform. Wir tauschten unsere Koordinaten aus - wie Monica das schön formulierte, weil wir gemeinsam diesen Weg zum Gipfel geschafft haben, und das war kein zufälliges Treffen. Sie hatte völlig recht - ohne Monica und Dong hätten wir nicht die Motivation gehabt, diesen Aufstieg zu bewältigen.

Auf dem Weg nach unten wurden wir öfters gefragt, ob sich der Aufstieg lohnt. Wir beschrieben die Panorama als wunderschön. Atemberaubend.

Auf dem grünen Teil der Strecke bogen wir in das erstbeste Restaurant ein und bestellten das einzige Gericht, dessen Name uns im Menü bekannt vorkam - Bibimbap.

Bibimbap gilt als die populärste und bekannteste koreanische Speise. Sogar Finnair serviert sie auf der Flugstrecke nach Seoul.


Man nehme ein Spiegelei, verschiedenes Gemüse und Reis, und bestreue das Ganze mit Seetang und Sesam - fertig ist Bibimbap. Nahrhaft, aber nicht schwer - perfekt, wenn man noch eine Route vor sich hat.

Das hatten wir - die alte Festung Gwongeumseong auf dem Dolsan Berg blieb noch unerkundigt.

Noch ein Aufstieg? Ja. Aber nur, weil der Mensch die Seilbahn bereits erfunden hat.


Eine Fahrt mit der Seilbahn auf den Dolsan Berg kostete 8.000 Won (ca. 5,60 EUR) pro Person und dauerte 5 Minuten. Leider kommt die Kabine nicht direkt auf dem Gipfel an - man muss wieder jede Menge Treppen steigen.

Vor dem Gipfel sah es dann so aus.


Die Ruinen der Festung befinden sich auf der Spitze des Bergs - folgen Sie mit Ihrem Blick dem Strom der Touristen.

Die Anlage war 1254, zur Zeiten des Kings Gojong, erbaut, um eine mongolische Invasion abzuwehren. Die Legende dazu behauptet, Herr Kim und Herr Kwon haben das in einer Nacht geschafft - so stark waren die beiden.

Wir beide verzichteten.

Machten noch ein paar Fotos vom Seorak Gebirge und der Stadt Sokcho.


Warfen den letzten Blick auf diese wunderbare Berglandschaft und fuhren wieder herunter.

Auf dem Weg zum Hotel kam mir noch eine alte Pagode vor die Linse.


Stein. Drei Stockwerke. Periode des Vereinigten Silla-Königreichs - 7. Jahrhundert. Ein Beispiel für pure, schnörkellose Eleganz und koreanisches Kulturschatz Nr. 443. Steht einfach neben der Straße zum Nationalparkeingang.

Beim Abendessen ignorierte mein Mann die Warnung "hot spicy" im Menü. Schweiß und Tränen waren ihm an diesem Abend garantiert.

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